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Gedichte

  • rückzug

    in den schattenwurf

    wo raureif

    wächst

    und käfer

    bröseln

    mit zugefrornen wimpern

    die augen schwer

    vor schwärze

    pflücke ich

    holunderbeeren

    und distelsamen

    am wegrand

    und lasse sie

    jenseits des nullpunkts

    auf meiner zunge

    keimen

  • galicia

    gleich einer barke aus stein

    gekentert und ans ufer geworfen

    trotzend den stürmen rauer winter

    und warm im mittagslicht

    pocht der fels unter mir

    ein wesen ein tier geädert

    durchströmt ertönt die ferne

    vibration durch meine gebeine

    wie alt bin ich? wo komme ich her?

    bin ich alle die frauen

    die jemals hier saßen und vergaßen

    wer sie waren

    um sich zu erinnern an fernes tief drinnen

    barkentränen aller marien druidenkraut

  • jeden morgen die gebeine

    aus den laken sammeln, ordnen

    knochen aufeinanderstellen

    jeden morgen sehnen richten und muskeln

    austarieren

    alleine das aufstehen ein akt der komposition

    von unten nach oben

    jeden morgen ein kampf gegen die gravitation

    ein ringen um den anfang von

    allem was ein tag an ringen bringt

    ohne zug aus dem erdkern

    keine erste erfahrung von widerstand

    besiegen können

  • auf jeden fall hinausgehen

    sich aussetzen

    den temperaturen

    und stimmungen

    wohl wissend

    passende kleidung

    hilft

    um zu weinen im regen

    ohne nass zu werden

    um zu staunen im schneeflockenwirbel

    ohne zu frieren

    um warm zu werden in der sonne

    ohne sich zu verbrennen

    zu anderen zeiten

    ganz dringend

    nass werden

    frieren

    brennen

    ode an den waldboden

  • im wald die fuge der zaunkönige

    mehrchörig mit amseln und drosseln

    von allen seiten wie in der goldgrünen

    venezianischen basilika die sänger gabrielis

    zwischen den baumstämmen ein mosaik

    ein mandala

    aus buchennüssen sauerklee veilchenblüten

    das kind ordnet die elemente

    zu vielstrahligem stern

    mit heiligem ernst

    als ob es wüsste

    von den musterkreisböden

    im fernen säulengewölbe

  • es zirpt

    sobald ich die fenster öffne

    und sie hereinlasse

    das wird nie früchte

    ja sag ich

    tragen ist banal

    sage grille

    aus meinem gehörgang!


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Auszeichnungen:

Preis des Zürcher Literaturhauses für Lyrik, 2019